Revenir

Im Wald, da wo es still ist – abgesehen von den sich zankenden Vögeln, dem Heulen der grossen mechanischen Vögel hoch oben, dem leisen Schlurfen der Regenwürmer tief unten, dem schabenden und immer näherkommenden Fressgeräuschen der Raupen, den ächzenden Joggern in Funktionskleidung, dem Specht, der an die Wohnungen seiner zukünftigen Nahrung anklopft, dem emsigen Wuseln der Ameisen am Waldboden, dem ständig mit der Kamera klickenden Spaziergänger, den knabbernden Zwiegesprächen der Mäusefamilie, dem fast tonlosen Schreien der Fledermäuse oder dem heiseren „uhuuu“ der Eule im Nachbarbaum, die davon träumt ein Uhu zu sein… Mit anderen Worten: es ist alles andere als still. Also: Im Wald, da wo es nicht still ist, hängt es fest an einem Baum: das Blatt. Eines unter vielen. Gleich und doch nicht vollkommen identisch.

Sonne, Wind, Regen, Gewitter, trübe Tage, dann wieder Sonne wechseln sich ab in immer wechselnden aber doch gleichförmigen Rhythmus.

Alles verwandelt sich, wenn die Nächte wieder kühler und länger werden, der Tau jeden Morgen länger braucht, um seinen Aggregatzustand zu wechseln und die Farben ringsherum sich verändern, das Sommergrün quasi abblättert.

Erst wird alles bunter, die Schattierungen wärmer und strahlender, wie um dem Jahreszeitenwechsel etwas entgegensetzen zu wollen, dann verblasst das Leuchten allmählich zu einem Meer aus braun, graubraun, grüngrau rotbraun und fahlrot, ähnlich intensiv, nur nicht mehr so eitel und effekthascherisch.

Es scheint, als ob das Blatt sich trotzig und mit letzter Kraft an seinem Zweig festklammert, um nicht fortgerissen zu werden vom Wind, der jetzt fordernd und ungestümt zerrt und es auf einmal eilig hat, der gleiche Wind, der doch eben noch erst frühlingsmild dann sommersatt und leise schmeichelnd wehte – ausser bei den starken Gewittern zu Beginn des Sommers, aber da war das Blatt noch jung und kräftig und optimistisch genug, sich nicht mitziehen zu lassen.

Jetzt aber: ein Taumeln. Die letzte Verbindung reisst nicht, sie gibt einfach nach, lässt das Blatt nach unten gleiten. Sanft schlingernd, sich um sich selbst drehend kommt es schliesslich auf dem Waldboden zur Ruhe.

Kein Bedauern, keine Angst, kein Zurückdenken oder -seh(n)en (können Blätter ja eh alles nicht, oder?), denn jetzt erst beginnt seine eigentliche Zeit, die Zeit in der es alles sein kann was es will.