Literarische Kalendertürchen 9/??

Es hatte nur kurz geklingelt, wahrscheinlich wieder der Bote von DHL. Als Sophie die Tür öffnete, lag dort ein Kätzchen mit einer Nikolausmütze und sah zu ihr herauf.

„Guten Tag“, sagte das Kätzchen mit der Nikolausmütze.

„Äh, guten Tag“, sagte Sophie. „Wir haben aber kein Kätzchen mit Nikolausmütze bestellt.“

Denn wirklich war der Weihnachtswunschzettel der Jungs zwar ellenlang gewesen, aber Tiere hatten nicht draufgestanden. Was daran liegen könnte, dass Sophie ihnen schon vor langer Zeit klargemacht hatte: Sie würde in dieser Wohnung kein Tier dulden, das größer als ein Marienkäfer war. Keinen Wellensittich (machen Lärm), keinen Hamster (sind nachtaktiv und ohnehin nichts für Kinder), kein Meerschweinchen (stinken), und erst recht keinen Hund (im 5. Stock? Und wer geht mit dem dann dreimal am Tag raus?). Von Kätzchen war nicht explizit die Rede gewesen, aber die Jungs standen zurzeit ohnehin mehr auf Dinosaurier oder Vampirfledermäuse.

„Ich bin eigentlich eine verzauberte Prinzessin, aber Sie können mich Mira nennen“, sagte das Kätzchen und spazierte an ihr vorbei in Richtung Küche.

„Moment mal“, sagte Sophie und ging hinterher, nicht ohne vorher kurz die Fußmatte zu untersuchen, aber da lag kein Zettel und auch sonst kein Hinweis, der Auskunft über die Herkunft und vor allem das Ziel des Kätzchens verraten könnte, denn dass es hier falsch war, war ja wohl klar.

Das Kätzchen sah sich in der Küche um, sprang auf die Anrichte, roch kurz an der Schale mit den Nüssen und Apfelsinen und drehte sich dann zu Sophie um. „Eine Kleinigkeit gegen den größten Hunger vor dem Abendessen wäre nett. Etwas Käse oder Fisch, notfalls auch Hähnchenbrust.“

„Wir sind Veganer“, sagte Sophie, und das Kätzchen rümpfte kurz die Nase, antwortete dann aber ohne seine persönlichen Gedanken zum Thema Veganismus zu offenbaren „Nun denn, die Geschäfte haben ja wohl noch bis 20 Uhr geöffnet.“

„Erlaube mal!“ Sophie war empört.

„Aber natürlich erlaube ich“, sagte das Kätzchen und schien huldvoll den Kopf zu neigen.

Die Jungs kamen in die Küche gelaufen, neugierig, mit wem sich ihre Mutter dort unterhielt.

„Ein Kätzchen, wie niedlich, danke Mama.“

„Zwei Zwergfutterautomaten, wie niedlich“, sagte das Kätzchen, ging aber vorsichtshalber ein paar Schritte zurück, als die Jungs es streicheln wollten. „Nur mit gewaschenen Pfoten und ganz vorsichtig, sonst zeige ich euch, dass ich stärker bin“.

„Wohnt es jetzt hier? Wie heißt es denn? Darf es bei uns im Zimmer schlafen?“

„Ich muss jetzt erstmal herausfinden, wie es hierherkommt und wem es gehört, aber es bleibt definitiv nicht hier“, sagte Sophie mit mehr Überzeugung in der Stimme als sie wirklich fühlte.

„Ich gehöre übrigens niemandem“, sagte das Kätzchen, „und ihr dürft mich Mira nennen, aber das sagte ich ja schon. Wenn Sie ohnehin einkaufen gehen, denken Sie doch auch an Katzenstreu und eine Toilette für mich. Und es gibt da so ganz bestimmte Leckerchen von Whiskotz, davon sollten Sie sich auch gleich einen Vorrat zulegen. Ansonsten bin ich beim Essen nicht besonders wählerisch, solange es aus kleinen Schälchen mit goldfarbener Folie kommt. Petersilie darauf muss aber nicht sein. Soll ich die Einkaufsliste ins Handy diktieren, damit nichts vergessen wird?“

Sophie war sprachlos, was selten genug vorkam. Die Jungs waren auch sprachlos, das Kätzchen redete ja auch für vier.

Es klingelte wieder an der Tür.

„Na, ist mein Geschenk angekommen? Ist das Essen schon fertig?“ Das war Toby, Sophies aktueller Freund, bisher noch mit Status „kein Schlüssel zur Wohnung“, daher das Klingeln. Und das mit dem „kein Schlüssel“ würde vermutlich auch so bleiben, das drückte zumindest Sophies Gesicht aus.

„Du hast uns das Kätzchen vor die Tür gelegt? Ohne mich zu fragen? Was sollte das denn?“

„Es sah so niedlich aus, passt perfekt zu dir. Eine Katze stinkt nicht, macht keinen Lärm, macht nichts kaputt, muss nicht Gassi gehen, und schläft die meiste Zeit …“

Das Kätzchen schubste elegant ein Glas (halbvoll) von der Anrichte, bevor es noch eleganter selbst hinuntersprang.

Sophie holte tief Luft.

„Im Übrigen bin ich kein Haustier, sondern eine verzauberte Prinzessin, aber auch das erwähnte ich ja schon“, sagte das Kätzchen, das gerade dabei war, die Küche zu verlassen. Vermutlich sah es ein Streitgewitter heraufziehen und war auf der Suche nach einem ruhigeren Schlafplätzchen. Mit dem Essen schien es ja noch zu dauern.

Sophie nahm Schlüssel und Handtasche „Ich gehe jetzt tatsächlich einkaufen, aber kein Katzenfutter. Wenn ich wiederkomme – sie zeigte mit dem Finger auf Toby -, ist das Kätzchen verschwunden. Und ihr (sie zeigte auf die Jungs) seid brav in euren Zimmern und macht Hausaufgaben oder was auch immer.“

Keiner antwortete. Sie hatte erwartet, dass Toby ihr hinterherlaufen würde, aber es war das Kätzchen, das sie an der Tür einholte.

„Ich sehe schon, ich bin hier unerwünscht“, sagte es, ohne eine Spur beleidigt zu wirken. „Nun ja, nicht jeder kann mit einer Persönlichkeit wie mir mithalten. Am Ende hat jeder die Gesellschaft, die er oder sie verdient, nicht wahr?“ Täuschte sich Sophie, oder sah es sich dabei zu Toby um? „Wenn Sie mir die Türen aufhalten, bin ich schneller verschwunden, als Sie ‚Mäusekacke‘ sagen können. Apropos, wussten Sie, dass in Ihrer Zwischendecke Mäuse wohnen?“ Wie unbeabsichtigt leckte es sich dabei über die Lippen. „Und es könnte sein, dass Ihr Freund – wenn ich ihn denn so nennen darf – gegen meinereins allergisch ist, er bekam eben schon verdächtige rote Pusteln.“

Sophie blieb stehen. „Wie genau heißen die Leckerlies?“