Sie hatte mich mit nach Hause genommen, einfach so. Ich war viel zu schwach, um mich zu wehren, fühlte nicht einmal mehr den Hunger oder die Kälte, aber dass es bei ihr in der Wohnung warm war, merkte ich doch. Und dass das, was sie auf einem Teller vor mich stellte, lecker war, sagte mir spätestens mein Magen.
„Nicht so schnell“, ermahnte sie mich. Sogar ihre Stimme war warm, wie eine kuschelige Decke auf einer Couch. Ich blieb trotzdem misstrauisch, aber ich blieb.
Sie ließ mich von einem Arzt untersuchen, der gar nicht wie ein Arzt aussah, sein Geruch verriet ihn, aber auch da war ich noch viel zu schwach, um mich dagegen zur Wehr zu setzen, und so schloss ich die Augen und ließ alles mit mir geschehen.
Die Tage vergingen, oder waren es Wochen. Ich kam langsam wieder zu Kräften, dank ihrer Fürsorge. So allmählich nahm ich auch meine Umgebung und vor allem sie wahr. Beobachtete sie, wenn sie langsam und gebeugt in der Wohnung hin- und herging, Dinge erledigte. Ich erkenne Schmerzen, wenn ich sie sehe, und sie hatte Schmerzen, ständig. Trotzdem war da immer ein warmes Leuchten in ihren Augen, wenn sie zu mir herüberblickte oder mit mir sprach, nie hörte ich sie jammern.
Wenn sie nicht zu Hause war, sah ich mir den Rest der Wohnung genauer an, untersuchte aus Gewohnheit alle Fluchtmöglichkeiten, dabei wollte ein Teil von mir gar nicht weg. Vielleicht im Frühling, aber jetzt im Winter war es sehr angenehm, hier im Warmen zu sein, sich um nichts kümmern zu müssen. Sie war auch nie aufdringlich oder neugierig, ließ mich einfach sein. Allein das rechnete ich ihr hoch an.
Eines Abends, als bis auf den Fernseher alles still geworden war, schlich ich zu ihr hinüber und setzte mich neben sie auf die Couch. Eine ganze Weile sahen wir uns nur an, die Wellen des Ungesagten flossen zwischen uns hin und her. Bis sie irgendwann mit einer Hand ganz langsam näher kam. „Renn!“, rief etwas in mir, „gleich ist es zu spät“, aber ich blieb sitzen, spürte, dass ich innerlich zitterte, konnte aber nicht mehr unterscheiden, ob es Angst oder Sehnsucht war, oder eine Mischung aus beidem. Dann spürte ich ihre Hand auf meinem Rücken, ganz sanft und vorsichtig, als ob sie mir sagen wollte „es ist allein deine Entscheidung, meine Hand ist nur das Werkzeug deines Willens.“
Ich zögerte noch den Bruchteil einer Sekunde, aber die Tür war schon geöffnet und ich halb durchgegangen, zum Umkehren war es zu spät. Als ihre Hand auf meinem Rücken anfing, ganz behutsam über das noch ein wenig struppige Fell zu streicheln, war es um mich geschehen. Ich drückte mich an sie, erst nur mit dem Kopf, dann mit dem ganzen Körper, und das laute Schnurren, das aus den Tiefen meines Körpers kam, erschreckte mich fast selbst. Eine Hand von ihr war nicht genug, ich wollte beide, ständig, für immer, am Kopf, am Rücken, am Kinn, hinter den Ohren – aber nicht am Bauch und nicht gegen den Strich! Es war unnötig, ihr das zu erklären. Und unnötig zu erwähnen, dass ich blieb, auch als der Frühling kam.