Literarische Kalendertürchen 6/??

„Als der Bus in die Straße eingebogen war, hatte sich das Licht der Laterne verändert.“ (aus „Der Schwimmer“ von Zsuzsa Bánk)

 

„Verändert sich das Licht der Laterne, sobald der Bus in die Straße einbiegt, ist es eine besondere Fahrt. Steigen Sie ein und lassen Sie sich überraschen.“ So stand es im Reiseführer.

Mehrere Abende hatte ich an der Haltestelle gewartet, nichts hatte sich verändert, ich hatte schon begonnen zu zweifeln, ob es sich nicht um eine Urban Legend handelte, die die Stadt in den Reiseführer hatte schreiben lassen, um sich interessanter zu machen, als sie war. Heute aber passierte es. Mir blieben nur wenige Sekunden zum Überlegen, die Türen öffneten sich einladend vor mir, niemand stieg aus, niemand außer mir stand an der Haltestelle. Der Fahrer sah mich an, als wollte er sagen „was ist denn nun“, und ich stieg ein. Kaum hatten sich die Türen hinter mir geschlossen, fuhr er los. Brauchte ich kein Ticket? An der nächsten Haltestelle würde ich den Fahrer fragen, jetzt sahen seine zusammengezogenen Augenbrauen und sein schmaler Mund nicht so aus, als ob ihr Besitzer gesprächsbereit wäre. Ich sah mich um. Außer mir saßen nur wenige Menschen im Bus, die sich in erstaunlicher Gleichmäßigkeit einzeln über die Sitzreihen verteilt hatten. Niemand sprach, niemand sah mich an. Alle schauten entweder auf ihr Smartphone oder aus dem Fenster. Schon hatten wir die Stadt hinter uns gelassen und brausten über eine Landstraße durchs dunkle Nirgendwo. Neben dem Bus hing ein blasser, beinahe voller Mond, dem es ab und zu gelang, die Wolken zur Seite zu schieben, um durch sie hindurchzuschauen und damit den Abend noch geheimnisvoller wirken zu lassen.

Hinter mir verkündete ein Pling, dass jemand an der nächsten Haltestelle aussteigen wollte. Dort vor uns tauchte sie auf: ein von einer Laterne beleuchtetes ordentliches Viereck im Nichts. Weit und breit hatte ich kein Haus, keine Siedlung gesehen. Warum sollte irgendjemand hier aussteigen wollen? Ich hatte noch nicht fertig darüber nachgedacht, da war der Bus ohne langsamer zu werden an der Haltestelle vorbeigefahren. Der Fahrgast brüllte von hinten irgendetwas. Der Fahrer reagierte nur mit einem Achselzucken und zeigte auf eine Anzeigetafel. Demnach schien dies einer der Schnellbusse zu sein, die nicht an jeder Haltestelle hielten. Der Mann kam nach vorne, der Luftzug seines Zorns streifte mich kurz im Vorbeirauschen, und ich war froh, nicht der Busfahrer zu sein. Sein aufgeregtes Rufen vermischte sich mit dem stoischen Gemurmel des Fahrers und dem gleichmäßigen Gebrumm des Busses. Die übrigen Fahrgäste schauten teilweise nicht einmal auf.

Nach dem Nichts der offenen Landstraße fuhren wir jetzt durch das Alles eines Waldes, sogar der Mond hatte es aufgegeben, den Scheinwerfern des Busses behilflich sein zu wollen. Außerhalb seiner Lichtkegel war nur noch Schwärze um uns herum.

„Sehen Sie die Haltestelle, da vorne?“ Jetzt war der Busfahrer gut zu verstehen. Der immer noch zornige Mann, alle übrigen Fahrgäste und ich sahen gehorsam aus dem Fenster, wo tatsächlich wieder ein Viereck mit Laterne aus der Dunkelheit vor uns auftauchte. Der Mann nickte, ich nickte in Gedanken mit.

„Da halte ich übrigens auch nicht.“

Ich meinte, ein leises Kichern hinter mir zu hören, vielleicht hörte ich es aber auch nur in meinem Kopf.

Der Mann setzte sich neben mich und sackte dabei zusammen wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. Ich wagte es nicht, ihn anzusprechen, dabei hätte ich gerne gewusst, was er in dieser gottverlassenen Gegend zu suchen hatte.

Wir kamen allmählich vom Nirgendwo ins Irgendwo, erst vereinzelt, dann immer häufiger tauchten Häuser vor uns auf. Straßenlaternen übernahmen es, die Belanglosigkeit dieser Vorstadt zu beleuchten, hier wurde der Mond nicht mehr gebraucht. Geschäfte der üblichen Ketten wechselten sich mit Wohnhäusern ab, der Bus wurde langsamer.

„Endstation, alles aussteigen.“ Das „bitte“ schien weit hinter uns verloren gegangen zu sein, aber alle stiegen gehorsam aus. Der Mann neben mir mit einem letzten leisen Zorneszischen, alle übrigen wortlos. Und so stand auch ich auf der Straße, verwirrt, was an dieser Fahrt jetzt so besonders war – mal abgesehen von dem kleinen Disput.

Fast alle Geschäfte waren bereits geschlossen, nur in einem Ein-Euro-Laden brannte noch Licht. Ich ging hinein, unschlüssig zwar, aber was hätte ich sonst tun sollen? Auf einem Sondertisch standen Plastikeulen der kitschigsten Sorte. Ihre geballte, vermutlich in China produzierte Scheußlichkeit zog meine Blicke an. „Wunscheulen – heute nur EUR 9.99“ verkündete das Schild über ihnen. Das wäre vielleicht ein Reisemitbringsel für den besten Freund, eine Erinnerung an dieses Abenteuer. Ich würde ihm von dieser Busfahrt erzählen, gemeinsam würden wir über den Mann, der nicht aussteigen konnte, den Busfahrer und diesen Laden lachen.

Die Frau an der Kasse nahm meinen Geldschein in Empfang, gab mir wortlos die Eule, einen Cent, den Bon und einen gedruckten Zettel und war schon wieder in ihr Smartphone versunken, bevor ich den Laden verlassen hatte.

An der Haltestelle hatte ich Zeit, den Zettel in Ruhe zu lesen. Durch das Drehen des Eulenkopfes setzte man angeblich den Wunschmechanismus in Gang. Drei Wünsche waren im Kaufpreis enthalten, wobei unerfüllbare Wünsche, wohl solche wie „Weltfrieden“, „Klimawandel stoppen“ oder „ewige Jugend“ ausgeschlossen waren. Für weitere Wünsche musste ein Abo abgeschlossen werden, ein QR-Code wies den Weg zur entsprechenden Website. Amüsiert drehte ich den Kopf versuchsweise. Der Bus würde nun hoffentlich bald kommen, so spannend waren weder Eule noch diese Vorstadt, und mir wurde allmählich kalt. Die Eule schien mir zuzuzwinkern, als der Kopf wieder an der ursprünglichen Position einrastete, und im selben Moment bog der Bus um die Ecke. Es waren derselbe Bus und derselbe Fahrer, oder er guckte einfach genauso griesgrämig wie sein Kollege auf der Hinfahrt. Einige Leute saßen bereits darin, und flüchtig wunderte ich mich, wo sie herkamen, wenn dies die Endhaltestelle war, aber dann war ich froh, im Warmen zu sitzen und bald wieder im gemütlichen Hotel einen Schlummertrunk einnehmen zu können.

Natürlich war es Zufall gewesen, dass der Bus genau in diesem Moment gekommen war, das fehlte noch, dass ich jetzt anfing, an solchen Hokuspokus zu glauben, aber dennoch wollte irgendein Teufelchen in mir Gewissheit haben und es mit einem zweiten Wunsch versuchen. Mir fiel allerdings partout keiner ein. Doch! Wie wäre es, wenn der Bus diesmal an der verlassenen Haltestelle auf der Landstraße halten würde?

Meine Finger griffen zur Eule, kaum dass mir dieser Gedanke gekommen war, und wieder schien sie mir zuzuzwinkern. Wir hatten den Wald verlassen, am Horizont tauchte bereits die Haltestelle auf. Ich hielt unwillkürlich den Atem an, als wir näher und näherkamen. Niemand hatte gedrückt, niemand stand dort, und einen Moment lang schien es, als würde der Bus weiterfahren, aber dann bremste der Fahrer, der Bus kam zum Stehen, die vordere Tür öffnete sich. Der Fahrer sah mich auffordernd an.

„Sie wollen aussteigen?“

„Nein, will ich nicht“, entgegnete ich mit Bestimmtheit.

„Doch, sie wollten, dass ich halte, also steigen Sie hier jetzt auch aus.“

Ehe ich es mich versah, stand ich auf der Straße. Die Rücklichter des Busses brauchten etwas länger als das Brummen des Motors, bis sie in der Ferne verschwunden waren. Es begann zu regnen, das Dach der Haltestelle schützte mich zum Glück, aber es wurde minütlich kälter. Hätte ich doch wenigstens Handschuhe eingepackt. Als meine Hände die Eule mit meinen klammen Fingern zusammen in den Jackentaschen verstauen wollten, trafen sie dort auf etwas unerwartet Wolliges: Handschuhe.

Mit der Wärme der Hände kehrte die Klarheit des Denkens in meinen Kopf zurück. Ich würde mir einfach wünschen, dass ein weiterer Bus käme. Aber der Eulenkopf ließ sich nicht mehr drehen. „Wunschguthaben aufgebraucht, bitte registrieren und zahlungspflichtiges Abo abschließen“ stand auf dem Display. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass die Handschuhe anscheinend mein dritter Wunsch gewesen waren.

Muss ich noch erwähnen, dass mein Smartphone keinen Empfang hatte und der Akku bei 8 % war?

Der Regen wurde stärker.