Literarische Kalendertürchen 5/??

Die Superpower

 

Als die Superpower App vor ein paar Wochen rauskam und sofort durch sämtliche sozialen Medien gehypt wurde, hatte ich sie tapfer ignoriert. Was alle wollen, will ich nie. Millionen Fliegen können nicht irren und so, Sie kennen das. Außerdem glaube ich nicht an Superkräfte, ist doch eh alles fauler Zauber. Oder ein Film.

Aber dann kam mein Nachbar Daniel eines Abends zu mir über den Zaun geflogen. Nicht außen rum, nicht durchs Törchen, einfach darüber geflogen. Er drehte noch einige Kreise und Loopings über meinen Rosen, und landete danach elegant vor mir auf der Terrasse. Stolz wie Bolle. Es sei alles sehr einfach – nur eben nicht ganz billig. Der Preis, den er mir für die halbe Stunde nannte, ließ mein Angestelltenherz schmerzhaft zucken, das konnte ich mir definitiv nicht leisten. Daniel ist Schönheitschirurg und nebenbei Börsenspekulant, da ist das kein Problem.

Als Nächstes hatte meine Schwester Elli, ausgerechnet meine brave biedere Schwester aus dem Vorortreihenhaus, sich gewünscht für eine Stunde Spiderwoman zu sein. Kopfschüttelnd sah ich ihr zu, wie sie die Wände am Bürgerhaus hochkletterte, während ihre Yogafreundinnen von unten Beifall klatschten.

Ich ignorierte die App weiter, auch als Carola, meine Frau die Superkraft „Levitation“ ins Spiel brachte. Um die Spielsachen der Kinder bequem aus dem Weg zu schaffen, wie sie meinte.

„Dann nimm doch lieber ‚Hexen‘ als Superpower, den Besen dazu hast du ja schon.“ Mein Humor kam mal wieder nicht an, aber das Thema war erstmal vom Tisch.

Bis die Black Week ins Haus stand. „Nur heute – jede Superpower mit 50 % Rabatt“ stand in der Mail. Und so hatte ich mir die App doch heruntergeladen – erstmal nur zum Gucken und scrollte durch die Liste der zur Verfügung stehenden Superkräfte.

„Übermenschliche Kraft“ – nee

„Zeitreise“ – hmm lieber nicht, nachher bringe ich da noch was durcheinander

„Unterwasseratmung“ – wer braucht denn sowas? Bin doch kein Fisch!

„Telepathie“ – ach nee, was die Leute so denken, will ich gar nicht wissen

„Körpertausch“ – das ist es! Und gar nicht so teuer. Mit wem kann man denn da tauschen? Früher wollte ich wie Robert Redford sein, aber der ist inzwischen ziemlich alt, also lieber nicht. Von den sonstigen Prominenten im Angebot interessiert mich niemand, aber halt, man kann auch mit beliebigen Individuen den Körper tauschen, man muss denjenigen nur innerhalb von 60 Sekunden nach dem Bestellvorgang am Rücken berühren. Wie wäre es denn, wenn ich einmal mit Nachbar Daniel tauschte? Mich einmal wie ein bekannter Schönheitschirurg und Börsenguru fühlen? Das könnte interessant sein. Wir sind abends zum Joggen verabredet, da lässt sich das doch bestimmt arrangieren.

Wir sind unterwegs, die App ist vorbereitet, ich muss nur noch unauffällig „jetzt bestellen“ bestätigen.

Ich klicke und sehe im selben Moment, dass ich „ein Jahr“ anstatt „eine Stunde“ ausgewählt habe.  Oh nein, wo ist denn hier der „Abbrechen, um Himmelswillen abbrechen“ Button? Oder reicht es, wenn ich einfach niemanden am Rücken berühre? Hektisch wische ich auf dem Smartphone herum, komme dabei ins Stolpern und kann mich gerade noch an einem Baum abfangen.

Hier im Stadtpark ist es eigentlich recht friedlich. Nachdem ich gemerkt habe, dass Schreien nichts nützt, habe ich mich mit meiner Situation abgefunden. Nur die Hunde und die Tauben nerven, die übrigen Vögel und die Eichhörnchen sind ganz nett.

Aber vielleicht möchten Sie trotzdem vor Ablauf meines Jahres mit mir tauschen? Ich bin die dritte Linde rechts an dem Weg zum kleinen See.