Literarische Kalendertürchen 4/??

„Ich sah Gespenster, es waren sieben, nein acht.“

Ganz zart, beinahe durchsichtig waren sie, sodass es eine Weile dauerte, bis ich mir über die Zahl im Klaren war. Und auch dann noch wunderte ich mich – nicht über die Tatsache, dass ich sie überhaupt sah, nein über die Zahl. Ist doch sieben meist die magische Zahl. Es gibt die sieben Zwerge, die sieben Geißlein, sieben auf einen Streich. Von acht von einer Art hatte ich hingegen noch nie gehört oder gelesen, von einem Achtschläfer zum Beispiel. Aber es waren eindeutig acht, daran konnte es auch bei längerer und genauerer Betrachtung keinen Zweifel geben. Jetzt lupften sie eines nach dem anderen ihren Gespensterhut und stellten sich artig vor, wohl um zu vermeiden, dass ich schreiend davonlief. Sie wohnten bereits lange in diesem alten Haus am Waldesrand hinter den sieben Bergen, wie der kleinste stolz erzählte. Die Räuber, die hier vorher gelebt hatten, hatten sie mit Kettenrasseln und nächtlichem Geheule nicht in die Flucht schlagen können. Erst als sie ihnen geheime Kräuter ins Bier gemischt hatten, das dadurch Alpträume verursachte, hatten sie ihre Siebensachen gepackt und waren mit Sack und Pack und ihren sieben Eseln bei Nacht und Nebel verschwunden.

Seitdem gespensterten sie hier friedlich alleine, kaum jemals verirrte sich jemand in diese Gegend, zu viele Geistergeschichten waren im Umlauf, und sowieso hatten die Leute genug zu tun und konnten sich nicht auch noch um die acht Gespenster in ihrer Nachbarschaft kümmern.
„Sie lassen uns in Ruhe und wir sie, das ist eine unausgesprochene Vereinbarung.“

 „Ist das nicht sehr langweilig hier? Wozu ist man ein Gespenst, wenn man niemanden erschrecken kann?“, wollte ich wissen.
So erzählten sie mir von ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Weben von spinnwebenzarten Seidentüchern, dem Aufschreiben alter, bisher nicht öffentlich bekannter Gespenstergeschichten und -sagen. Und natürlich dem Komponieren von Geistermusik. Die sie über einen Mittelsmann an die Filmindustrie verkauften, um von den Erträgen ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.

„Dass wir nur von Luft leben, ist ja völlig unwahr“, erzählten sie mir und zeigten mir die Schätze in ihren Weinkellern, die edlen Käsesorten und die noch edleren Pralinen, die sie sorgfältig lagerten.

Ich vergaß die Zeit, während ich bei ihnen lebte, zu lecker waren Käse, Wein und Pralinen und zu spannend die Geschichten, die sie mir erzählten. Eines Tages aber stellte ich dann doch die wichtige Frage, die ich über die lange Zeit beinahe vergessen hatte:

„Wieso seid ihr eigentlich zu acht und nicht zu siebt?“

Alle acht sahen mich verständnislos an, bevor eines antwortete „Wieso acht, wir sind doch jetzt zu neunt?“