Literarische Kalendertürchen 3/??

„Hach, einmal würde ich so gerne singen können wie du“, sagte die Eule zur Amsel. Sie hatten sich zu ihrem wöchentlichen Kaffeeklatsch in der alten Eiche getroffen. Das Rotkehlchen fehlte noch, es war wohl wie immer stark beschäftigt. Aber da es auch an der Reihe mit Kuchenbacken war, saßen Eule und Amsel jetzt ziemlich gebäckhungrig bei einem Schälchen eingelegter Würmer aus dem letzten Jahr, das die Amsel noch in ihrer Speisekammer gefunden hatte und warteten.

So waren sie irgendwann auf das Thema „Singen“ gekommen. Und auf den eigentlich geheimsten Wunsch der Eule, den sie heute zum ersten Mal laut ausgesprochen hatte. Die Amsel sagte erst einmal gar nichts. Ihr erster Impuls war gewesen zu flöten „aber das ist doch keine Kunst, das kann doch jedes Küken.“ Zum Glück war ihr noch rechtzeitig eingefallen, dass das wohl nicht für Eulenküken galt, und so überlegte sie jetzt erstmal in Ruhe, was sie sagen könnte, um die Eule nicht zu verletzen. Dass sie andere Fähigkeiten hatte, die ihr, der Amsel abgingen, wusste die Eule sicher selbst, und das tröstet einen ja auch nicht über echte Herzenswünsche hinweg.

„Also …“, begann die Amsel endlich und zog jede Silbe in die Länge, um weiter Zeit zu gewinnen. „Ich singe ja nur wie mir der Schnabel gewachsen ist und wüsste gar nicht, wie ich dir das beibringen könnte. Aber wie wäre es, wenn wir jemanden fragen, der sich damit auskennt?“ Die Eule klimperte mit den Augen und drehte den Kopf hin und her. Fast tat es ihr schon leid, dass sie überhaupt mit dem Thema angefangen hatte. „Und wer könnte das sein?“, fragte sie schließlich höflich. Sie wollte den guten Willen der Amsel nicht ignorieren, aber dass ihr größter Wunsch, der ihr nur so rausgerutscht war, weil ihr gerade kein Allgemeinplatz eingefallen war, herumposaunt werden sollte, war ihr ganz und gar nicht recht.

Die Amsel war unterdessen im Kopf alle infrage kommenden Vögel durchgegangen, bis ihr endlich eine Idee kam „Die Nachtigall!“, rief sie, „das passt vom Schlaf-Wach-Rhythmus ganz gut zu dir, und sie ist eine wunderbarere Erklärerin, da bin ich mir sicher. Komm, lass uns gleich hinfliegen.“

„Und das Rotkehlchen?“, fragte die Eule und dachte für sich hinzu ‚und der Kuchen?‘.
„Wir hinterlassen ihm eine Nachricht.“

Gesagt, getan, schon waren die beiden bei der Nachtigall, die erst ein wenig unwirsch guckte, weil die Amsel sie mit ihren lauten Rufen zur Unzeit geweckt hatte. Dann aber fühlte sie sich geschmeichelt, weil ihre Dienste gefragt waren. Die Eule klimperte nur mit den Augen, während die Amsel ihren Wunsch vortrug. Die Nachtigall überlegte eine Weile, vielleicht dauerte es auch einfach so lange, bis die Botschaft in ihrem schlafmüden Kopf angekommen war. Dann machte sie der Eule einige leichte Übungen vor, die diese noch sehr vorsichtig nachzumachen versuchte. Es klang sehr eulig, fand die Amsel, sagte aber nichts.

„Gar nicht schlecht“, sagte die Nachtigall schließlich, „da gibt es Potenzial. Wir probieren es. Dienstags um 8?“

Als Eule und Amsel wieder in der Eiche ankamen, schien die Eule mindestens 3 cm gewachsen zu sein. Der Kuchen, den das inzwischen angekommene Rotkehlchen mitgebracht hatte, schmeckte ihr heute besonders gut.